ein soziologie.ch blog von » tobi
Ja, ich war in Bern vorletzten Samstag. Ja, ich habe Pflastersteine und Bierflaschen, Tränengas- und Knallpetarden fliegen sehen. Und ja, ich sah den Bundesplatz, vorher und nachher. Trotzdem, was ich am Abend dann in der Tagesschau sah und sonntags in der Presse las, enttäuschte mich nicht weniger. Ok, ich habe nur zwei Augen zum Sehen und zwei Beine, um damit auch um Ecken gehen zu können. Ich habe auch meine Sympathien und Zugehörigkeitsgefühle eher einseitig entwickelt, wie so viele andere vor mir. Das ist also ein gefärbter Text, auch wenn ich mir einiger meiner blinden Flecke bewusst bin und auch versuche, diese zu berücksichtigen. Ich möchte hier lediglich zusammentragen, was meine Eindrücke der Ereignisse waren und sind. Ich möchte ausführen, was ich gesehen habe, denn darüber, was scheinbar alle anderen gesehen haben, wurde ja schon berichtet. Ich erzähle also hier die andere halbe Wahrheit, oder versuche dies zumindest.
Was ich gesehen habe, war eine Bühne auf dem Münsterplatz, auf welcher Musik gemacht und vor welcher getanzt wurde. Dort waren schätzungsweise zwei- bis dreitausend Menschen dauernd anwesend. Dieser Platz war dann irgendwann zu, man konnte weder rein noch raus und die Reibereien zwischen den Chaoten und den Vermummten begannen. Ich überlasse Euch die Zuteilung zu den beiden involvierten Gruppen. Wie gesagt, ich bin hier nicht so neutral, wie es sich vielleicht schicken würde.
Jedenfalls habe ich so meine Ansichten, wie eine auf Deeskalation und Gewaltprävention ausgerichtete Aktion aussehen sollte. Zumindest nicht so, wie das bereits am Bahnhof begonnen hatte. Ich kam an, so gegen elf Uhr, und sah, wie an der Treppe gegenüber eine Gruppe junger, farbenfroher Menschen von einer Gruppe gutgepanzerter Polizeikräfte aufgehalten und kontrolliert wurde. In zweiter Reihe standen dann auch noch Polizisten in Zivil, die schöne Portraitaufnahmen erstellten. Soweit ich das sehen konnte, hatten die Jugendlichen eine Tüte Orangensaft bei sich. Ich stand dann so ein wenig in der Nähe herum, da mich interessierte, wie lange das Ganze dauern würde. Während dieser Zeit ging an mir eine weitere Gruppe Junger Menschen vorbei, danach auch an den Ordnungshütern. Junge Männer mit kurzen bis nicht vorhandenen Haaren, schwarzen Jacken und Bierflaschen. Sie trugen ihre Schweizerfahnen unbeachtet durch die Bahnhofsspassage. Man kann ja grundsätzlich nichts dagegen sagen, wenn jemand stolz auf sein Land ist, aber bei einer allgemeinen Stimmung gegen Gewalt von rechts und von links stimmt das doch nachdenklich.
Was ich aber später beobachten musste, das verschliesst sich meinem gesunden Menschenverstand vollends. Ich ging vom Bundesplatz aus zurück in Richtung Münsterplatz, mittlerweile wurden die Blockaden der Polizei aufgehoben oder zumindest derart unlogisch verteilt, dass man problemlos von der einen Seite einer Sperre auf die andere, teilweise sogar zwischen die Linien gelangen konnte. Wir waren also die Schäden auf dem Bundesplatz begutachten und ich ging wieder zurück. Ich passierte eine Reihe parkierter Polizeiautos mitsamt Inhalt, einige standen auch auf der Strasse. In eben dieser Strasse kam mir eine Gruppe ziemlich eindeutig zuordenbarer, gewalttätig dreinblickender Menschen entgegen. Sie hatten auch Stöcke in ihren Händen und ich hatte wirklich Angst, auch schon nur Augenkontakt herzustellen. Sie gingen aber an mir vorbei und ich drehte mich um. Ich konnte es nicht begreifen, von den Ordnungskräften ging auch nicht der kleinste Impuls aus, sich der Gruppe in den Weg zu stellen. Im Gegenteil, darauf angesprochen zuckten sie nur mit den Schultern. Ich ging weiter, und einige Zeit später hörte ich von Übergriffen auf Demonstranten.
In der Tagesschau und auch in den bisher durchgesehenen Printmedien wurde darüber allerdings nicht berichtet. Es kam auch niemand vom OK 'Das schwarze Schaf' zu Wort, über die Veranstaltung an sich, die gewaltlos statt fand, wurde nichts gesagt. Es wurden die Bilder der Ausschreitungen gezeigt, parallel dazu wurde in Endzeitstimmung über linksautonome Chaoten und die untergehende Demokratie berichtet. Einige Vertreter der SVP wurden befragt, welche fast wortwörtlich das wiederholten, was die Sprecher der Tagesschau von sich gaben. Wer wohl hier bei wem abgeschrieben hat?
Im Gegensatz zum ORF, welcher doch wenigstens die kritisierten Inhalte des SVP-Wahlprogrammes mit in die Berichterstattung fliessen lies, hielten es die Schweizer Medien nicht für nötig, auf die Inhalte der Gegenveranstaltung, also die Ausländerfeindliche Politik der SVP, hin zu weisen. Auch wurde nicht in Frage gestellt, ob denn ein Ort wie der Bundesplatz zwei Wochen vor den Wahlen einer Parteiveranstaltung zugänglich gemacht werden sollte.
Ich bin enttäuscht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.