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"Es gibt zwei Geschlechter nur insofern, als Individuen andere
als Männer oder Frauen wahrnehmen und sich selbst als das
eine oder andere darstellen. Das Resultat dieser Praktiken ist
eine Welt mit zwei Geschlechtern, denen die einzelnen jeweils
ausschliesslich und lebenslänglich angehören." (Lindemann
1993, S. 44)
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Einer Transsexuellen auf der Spur
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Im Rahmen meiner Forschungs- und Lizentiatsarbeit führe ich
an der qualitativen Methode orientierte, problemzentrierte
Interviews mit transsexuellen Personen durch. Transsexuelle
Menschen lassen sich nicht widerspruchsfrei dem einen oder
anderen Geschlecht zuordnen, trotzdem haben sie in den
meisten Fällen eine äusserst traditionelle Auffassung von
Geschlechtsrollen. Sie befinden sich nur einfach im "falschen
Körper". Die Suche nach geeigneten InterviewpartnerInnen ist
nicht zuletzt durch den offensichtlichen Sonderstatus von
Transsexuellen schwierig: Viele sprechen nicht gerne über ihren
Geschlechtswechsel, und Transsexuelle vor der Umwandlung
leben häufig sehr zurückgezogen.
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Bei meiner Suche nach Personen, die für meine Analyse in
Frage kommen, habe ich auch einige grosse Schweizer
Sexkontakt-Magazine konsultiert. Neben den bekannten
Rubriken wie "Sie sucht Ihn" und "Er sucht Sie" existiert eine
Rubrik "TS/TV" (Trans-sexuelle, Transvestiten). Die
Kontaktanzeigen sind in Inserate mit und ohne finanzielle
Interessen unterteilt. Es fällt auf, dass die Angebote von
Transsexuellen/Transvestiten vor allem im Bereich der bezahlten
sexuellen Dienstleistungen (Prostitution) aufzufinden waren.
Zudem inserieren nur Mann-zu-Frau Transsexuelle und
Transvestiten. Weiter sind beinahe alle inserierenden
Transsexuellen "Frauen mit Penis". Dies ist interessant, da die
Mehrheit der transsexuellen Frauen eine ganzheitliche
Geschlechtsanpassung, also auch die operative Formung einer
Vagina, wünschen. Offensichtlich kommt im sexuellen
Dienstleistungsbereich der Transsexualität eine spezielle
Bedeutung zu. Sicher spielen auch finanzielle Interessen eine
grosse Rolle. Transsexuelle Frauen mit Penis sind eine Seltenheit und
befriedigen somit die sexuellen Wünsche einer speziellen
Gruppe von hauptsächlich Männern.
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Ich untersuchte also zuerst die Angebote "mit finanziellen
Interessen", aus einem einfachen, pragmatischen Grund: Es
waren jeweils die Telefonnummern der Personen veröffentlicht.
Die restlichen Inserate (unter Chiffre) kosteten zehn Franken
Weitervermittungsgebühr. Beim Durchlesen der Inserate ging ich
systematisch vor: Ich rief zuerst die Telefonnummern aus Zürich
und Umgebung an, weil diese Personen für einen Besuch
einfacher zu erreichen sind. Der erste Anruf endete beim
Telefonbeantworter. Mit dem zweiten Anruf hatte ich Glück.
Sandra, das "transsexuelle Topmodel", die Frau mit Penis, war
bereit mir ein Interview zu geben - wenn sie nicht gerade Gäste
bediente. Wir vereinbarten einen Tag, an welchem ich sie
mehrmals anrufen sollte, um ihren Terminplan zu erfahren.
Abends um sieben Uhr hatte sie schliesslich Zeit. Ich durfte bei
Ihr vorbeikommen.
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Sandra hatte eine Zweizimmer-Parterrewohnung mit roten
Vorhängen an den Fenstern. Beide Zimmer waren mit Betten
ausgestattet. Zudem besass sie eine "Folterkammer" für die
"Erziehung" (sadomaso-chistische Sexualpraktik). Sandra trug
Netzstrümpfe und einen Minirock, das Décoltée grosszügig
präsentierend. Sie war stark geschminkt und wirkte betont
feminin. Leider wurden wir beim Interview mehrmals
unterbrochen. Eine Bekannte kam auf Besuch, und die beiden
stritten sich um finanzielle Angelegenheiten. Dauernd riefen
Männer an, die einen Termin vereinbaren wollten, und einmal
kam sogar ein Gast vorbei. Ich sollte in der Küche warten,
während Sandra sich mit ihm beschäftigte. Er wollte dann aber
doch nicht ihre Dienstleistung in Anspruch nehmen, sie war ihm
noch zu jung. Er ging er wieder, und wir konnten das Interview zu
Ende führen. Diese Zwischenfälle unterbrachen leider häufig
den Erzählfluss. Sandra aber zeigte Interesse und Bereitschaft,
mir von ihrem Leben zu erzählen und meine Fragen zu
beantworten. Sie machte auf mich einen sensiblen,
sympathischen Eindruck. Sandra erzählte mir, dass sie sich
eigentlich keine vollständige Geschlechtsumwandlung wünsche,
sie sei mit der momentanen Situation zufrieden, das sei etwas
Spezielles. Sie fühle sich trotz Penis als Frau. Sandra war zum
Zeitpunkt des Interviews 49 Jahre alt und hauptberuflich im
Sexgewerbe als transsexuelle Prostituierte tätig. Sie war in
Zürich aufgewachsen und lebte hier.
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Sandra: Geschichte einer Identität zwischen Mann und Frau
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Sandra erzählt, dass sie schon als Kind eher das Verhalten
eines Mädchens gehabt habe. Ihre KameradInnen im
Kindergarten hielten sie für ein Mädchen, nicht für einen Jungen.
Sie wuchs immer mehr in diese Rolle hinein, spielte mit
Puppen, wollte immer lieber ein Mädchen sein. In der Schulzeit
war Sandra wie ein Junge angezogen. Aber wenn es niemand
merkte, am Mittwochnachmittag zum Beispiel, trug sie jeweils
Mädchenkleidung und eine Perücke und zog los. Meistens nur,
wenn es regnete, denn mit dem Regenschirm konnte sie ihr
Gesicht verdecken. Abends, bevor die Mutter heimkam, ging sie
wieder nach Hause. Die Mutter bemerkte jeweils, dass ihre
Sachen nicht mehr am richtigen Ort verstaut waren, aber Sandra
verneinte die Frage, ob sie wisse, wo sich die Kleider befinden,
immer. Mit der Zeit aber entdeckte es die Mutter trotzdem. Im
Gegensatz zum Vater akzeptierte sie das Crossdressing ihres
Sohnes gut. Sandra beschreibt ihren Vater als "eher so der
Böse". Die Eltern liessen sich scheiden. Der Vater war
Alkoholiker und "deshalb ging es nicht mehr länger". Sandra
wohnte danach bei der Mutter. Auch dort trug sie hin und wieder
Frauenkleidung. Die Mutter ging sogar mit ihr mit, auch sie war
der Meinung, dass es Sandra eigentlich besser stehen würde,
wenn sie ein Mädchen wäre.
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Sandra konnte keine Lehre machen. Nach der Scheidung
musste die Mutter arbeiten gehen und verdiente nur wenig.
Sandra musste deshalb früh eigenes Geld verdienen. Sie
arbeitete als Hilfsmechaniker.
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Ein paar Jahre später hatte sie "grosses Pech", sie verlor eine
weitere Stelle. Später mietete sie eine eigene Wohnung. Sie
wollte selbständig leben. Ihre Mutter wurde alt und musste ins
Pflegeheim.
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Sandra kleidete sich damals in der Freizeit immer wie ein
Mädchen. Sie fragte sich, was man wohl machen könne, um
eine richtige Frau zu werden. Sie hatte keine Beziehungen und
niemand konnte ihr weiterhelfen. Sie war schon 35 Jahre alt und
wusste immer noch nicht weiter. Doch eines Tages lernte sie
durch einen gemeinsamen Bekannten eine Kollegin kennen, mit
der sie später dann zusammenzog - auch diese war damals
noch ein Mann. Aber sie wollte, genau wie Sandra, schon lange
eine Geschlechtsumwandlung machen. Sandra und ihre
Kollegin, damals beide noch Männer, diskutierten über eine
Geschlechtsanpassung. Sie wollten es gemeinsam
durchstehen. Sie gingen beide zum gleichen Psychiater. Sandra
erhielt ein Gutachten und durfte zur Behandlung ins Inselspital
Bern. Dort operierten sie ihr die Eier aus den Hoden heraus und
machten eine Hormonbehandlung. Die Kollegin aber erhielt
keine Behandlung. Sie musste nach Marokko fahren, um sich
dort ohne Gutachten operieren zu lassen. Das alles kostete sie
etwa 2000 Franken. Die Kosten für Sandras Operation
übernahm higegen die Krankenkasse.
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1990, als die beiden Kolleginnen zusammen eine Wohnung
bezogen, mussten sie feststellen, dass alleine mit der
Kastration und den Hormontabletten "auch nicht das Wahre
erreicht war". Sie fuhren mit einer Therapie in Spritzenform fort.
Durch die Spritzen wollten sie ein weibliches Aussehen erhalten.
Aber Sandra stellt fest, sie und ihre Kollegin hätten dies
eigentlich nie erreicht.
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Sie seien immer nur halb Frau gewesen.
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Dann fanden sie einen Chirurgen, dessen Namen sie
niemandem nennen durften. Sie liessen "im Gesicht aufbauen".
Sandra erzählt, es gebe Implantate, die von innen eingebaut
würden (durch einen Schnitt innerhalb der Wange). Zudem gebe
es die Möglichkeit, von aussen Kunststoff einzufügen. Sie betont,
dass ihre Gesichtsimplantate besser seien als solche aus
Silikon. Silikon werde sehr bald hart und sei nicht gut für die
Gesundheit. Zudem müsse man zwischen zwanzig- und
dreissigtausend Franken dafür bezahlen. Die Injektionen, die sie
erhalten habe, würden ein Leben lang halten. Für die Spritzen
habe sie jeweils dreihundert Franken bezahlt, sie seien nicht von
der Krankenkasse bezahlt worden.
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Sandra liess sich auch die Augen operieren und die
Augenbrauen färben. Die Narben sieht man heute fast nicht
mehr. Dies Alles sei aber eher Luxus, den man zusätzlich
machen lasse, erklärt Sandra. Sie habe sich auch den Busen
vergrössern lassen. Dafür habe man früher auch Silikon
genommen. Aber bei ihr sei eine Salzlösung "eingebaut"
worden. Das sei eine "super Sache", meint sie. Die Brüste
würden das ganze Leben über weich bleiben, "so wie es die
Frau eben habe". Sandra kann sich nicht vorstellen, jemals
wieder als Mann zu leben. Sie fühlt sich in der Frauenrolle, der
Mädchenrolle, sehr viel wohler. Das betreffe die Seele, die
Psyche. Aber dies habe noch lange nichts zu bedeuten, denn
Probleme, von denen habe man ja als Mann oder Frau so oder
so genug.
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Ich frage Sandra, was sie persönlich für den Unterschied
zwischen Mann und Frau halte. Das sei schwierig, gibt sie zur
Antwort. Vorher am Telefon habe sie männlich gesprochen. Die
Stimme, das sei es eben. Ihre Bekannte habe zu ihr am Telefon
gesagt, sie sei ja gar nicht mehr die Sandra, sondern der
Sandro. So wie sie in der Küche geschimpft habe, das sei gar
nicht weiblich, meint sie. Aber sie kenne noch viel resolutere
Frauen. Die würden "die Spaghettischüssel samt Pfännchen
zum Fenster hinauswerfen". Sie kenne da Geschichten von ihren
Kunden, die mit richtigen Hexen verheiratet seien. Aber wieder
auf den Unterschied zwischen Mann und Frau bezogen meint
Sandra, dass sie sich gar nicht vorstellen könne, mit mir
dazusitzen und wie ein Mann auszusehen. Sie will wissen, ob ich
sie als Frau sehe. Ich bejahe. Sie erzählt, dass sie sich
manchmal frage, ob man ihr durch ihr Verhalten "etwas
anmerken könne". Sie könne das ja gar nicht beurteilen, weil sie
ja täglich sich selbst sei. Das müsse ihr jemand anders sagen,
ich, zum Beispiel. Sie will wissen, ob sie denn in meinen Augen
ein frauliches Verhalten habe. Ich bejahe erneut. Sie findet, dass
sie dies selber schon einigermassen kontrollieren könne, aber
eben nicht ganz.
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Ich frage sie, warum sie denke, dass sich Männer anders als
Frauen verhielten.Sie erwidert, dass es ja auch Frauen gebe, die
sich wie Männer verhalten. Es gebe richtige Frauen, solche, die
als Frau geboren würden. Aber dann gebe es auch Mädchen, die
sich wie Männer verhielten und Männer die sich wie Frauen
verhielten, und eben auch Trans-sexuelle.
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Die Ursache, warum einige Leute eine Geschlechtsumwandlung
machen und andere nicht, liegt in Sandras Meinung in der
Psyche, der Seele. Das käme durch den Charakter. Es gebe ja
auch Leute, die seien bisexuell, schwul oder lesbisch. Früher
habe man das als anormal bezeichnet. Heute sei die
Gesellschaft in der Hinsicht etwas offener. Transsexuelle Frauen
seien zum Teil akzeptiert, nur von gewissen konservativen
Leuten weniger. Von den Schwulen habe man früher schwer
Abstand gehalten, heute sei das auch nicht mehr so schlimm
wie früher.
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Für Sandra kommt ihre Transsexualität "einfach aus einem
Gefühl heraus". Sie bezeichnet sich als bisexuell. Sie könne mit
einem Mann wie auch mit einer Frau "etwas machen". Sie könne
sich vorstellen, einen Mann als Partner zu haben, einen Freund.
Sie könne sich sogar vorstellen, einmal zu heiraten. Sie könne
sich aber auch vorstellen, mit einer Kollegin zusammenleben
und nicht verheiratet zu sein - "bisexuell eben". Ihr sei vor allem
der Charakter wichtig, "wer die Person ist". Wenn ihr jemand
Zuneigung gebe, oder Liebe, dann könne sie sich eine
Partnerschaft gut vorstellen. Auch wenn sie eine
Geschlechtsumwandlung "zu fünfzig, sechzig Prozent" gemacht
habe.
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Sandra lebte sechs Jahre mit der Kollegin zusammen, die auch
eine Geschlechsumwandlung machte. Eine sexuelle Beziehung
war das aber eher nicht. Sie hatten eine gute Freundschaft,
erlebten gute und schlechte Zeiten zusammen. Ihre Kollegin
wollte aber selbständig werden und seit einigen Wochen wohnt
Sandra alleine. Während der Operationen war die Beziehung zur
Kollegin sehr schwierig. Es sei ein sehr, sehr harter Weg
gewesen, meint Sandra. Die Kollegin würde die Behandlung
nicht noch einmal machen. Sie selbst würde es wieder machen,
aber anders anpacken. Sie sei noch unerfahren gewesen, habe
nicht die richtigen Ärzte gehabt.
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Sandra betont, dass man auf der Strasse schon von weitem, von
hundert Meter oder noch mehr, sehen kann, ob ein Mann oder
eine Frau daherkomme. Bei Transvestiten, Männern in
Frauenkleidung, sehe man das schon von einem Kilometer. Da
merke man, "dass etwas nicht stimmt". Das sei hart, man werde
von den Leuten einfach nicht akzeptiert wenn die merken, "dass
du dich umbaust". Diese Phase musste Sandra durchmachen,
und es war sehr hart für sie. Alle Leute schauten ihr nach, wenn
sie einen Mini und Strümpfe trug. Sie spürte, dass die Leute
merkten, "dass etwas nicht stimmt". Direkte Konfrontationen
hingegen hatte sie nie. Ausländer waren meist skeptisch, "die
gafften blöd". Sandra betont, dass einen das "ziemlich
runterbringt", wenn man eine Umwandlung mache. Wenn man
sich als Frau fühle und einem dann solche Dinge wiederfahren,
das sei seelisch, psychisch schwer.
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Zum Psychiater geht Sandra schon jahrelang nicht mehr. Die
Kollegin war zwischendurch bei einem städtischen Psychiater.
Sandra geht aber nicht mehr dorthin, weil sie als Mann schon
einmal dort war. Die von der Stadt kennen sie noch aus der Zeit,
als sie Schwierigkeiten mit den Arbeitsstellen hatte. Das
Bedürfnis hat sie irgendwie schon gehabt, es wäre auch gut für
sie gewesen, wenn sie eine Begleitung gehabt hätte. Sie hat
niemanden, zu dem sie gehen kann. Die Eltern sind früh
gestorben und bei den Verwandten wird sie nicht akzeptiert.
Diese halten von der ganzen Sache Abstand, sehen Sandra "als
Spinner". Sie haben auch den Kontakt zu ihr abgebrochen,
finden, Sandra mache "einen Seich mit kastrieren lassen und
Busen und so". Die Beziehungen sind also immer mehr
auseinandergebrochen.
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Sandra findet, dass es bis jetzt ein sehr sehr harter Weg war. Sie
hofft, dass es in Zukunft besser wird. Sie wünscht sich einen
guten Partner, mit dem sie eine Beziehung aufbauen könnte.
Nicht wegen dem Sex, "es geht ja im Leben nicht immer nur um
den Sex". Transsexualität kommt einfach aus dem Gefühl heraus
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Der Versuch einer kurzen Interpretation
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"Selbst als unmittelbare leibliche Erfahrung, gewissermassen
unter der eigenen Haut, hat eine Person ihr Geschlecht nicht
allein, um umgekehrt wird die soziale Struktur Geschlecht nur in
und durch die leibliche Erfahrung real. Eine Veränderung des
eigenen Geschlechts kann deshalb nicht ohne eine
Veränderung der geschlechtlichen Erfahrung aller Beteiligten
vonstatten gehen" (Lindemann 1993, S. 52) Sandra wuchs im
Verlauf ihrer Sozialisation immer mehr in die Frauenrolle hinein.
Das Bedürfnis, ein Mädchen zu sein, hatte sie, seit sie sich
erinnern kann. Sandras Jugend verlief problematisch: Die Eltern
liessen sich scheiden, der Vater war Alkoholiker, es war kein
Geld da, Sandra konnte keine richtige Ausbildung machen. Dazu
kam ihre Transsexualität. Sandra hatte eine innige Bindung zu
ihrer Mutter. Die Mutter scheint eine der wenigen Personen
gewesen zu sein, die Verständnis für Sandras Transsexualität
aufbrachte. Den Schritt zur Geschlechtsumwandlung wagte
Sandra erst, als sie jemanden mit den gleichen Bedürfnissen
kennenlernte. Diese Bekanntschaft war für ihren weiteren
Lebensweg mit Sicherheit von grosser Bedeutung.
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Sandras Lebensweg zeigt sehr gut auf, wie stark sich
transsexuelle Personen an tradititonellen
Geschlechts-Stereotypen orientieren. Sandra und ihre Kollegin
haben unzählige Operationen hinter sich, die sie dem weiblichen
Idealbild näher bringen sollten. Interessant ist zudem, dass für
Sandra die Gewissheit, eine Frau zu sein, von aussen bestätigt
werden muss. Es ist ihr offenbar sehr wichtig, wie andere
Personen sie wahrnehmen. Weiter gibt sie an, dass die
Ursachen für die Transsexualität von innen kommen, aus der
Psyche, der Seele. Dies scheint aus phänomenologischer
Perspektive diffus, da Identität etwas darstellt, dass in
dialektischer Beziehung zur Gesellschaft und in
gesellschaftlichen Prozessen geformt wird (Berger und
Luckmann 1980: 185). Der Bezug zu einem abstrakten,
religiösen Begriff wie "Seele" zeigt auf, dass Sandra ihre
Transsexualität nicht rational reflektiert. Dies ist, zumindest aus
der Perspektive der Betroffenen, auch äusserst schwierig.
Lindemann (1993) formuliert eine mikro-soziologische
Perspektive, die den Begriff des Leibes in den Mittelpunkt stellt.
Die Stabilität der sozialen Struktur Geschlecht hängt
grundlegend vom Verhalten der Beteiligten ab. Lindemann zeigt
auf, dass "die Unterscheidung von zwei Geschlechtern anhand
der Körper ein Wissen um die Geschlechterdifferenz und deren
Wichtigkeit voraussetzt" (ebd., S. 45). Sie betont, dass die
Geltung dieser Vorraussetzung an den Körpern bestätigt wird.
Sandra weiss um die Wirksamkeit der Kategorie Geschlecht. Als
Mensch mit weiblichem Rollenverhalten möchte sie dieses auch
in einem weiblichen Körper zur Geltung bringen. "In diesem
Kontext sind Gesten, Körper, Kleidung, Personalpronomen oder
auch Sätze wie ‘Ich bin eine Frau’ indexikalische Ausdrücke des
Sachverhalts, dass jede Person eine sinnvolle Erscheinung in
einer Welt mit zwei Geschlechtern ist." (ebd., S. 45-46)
Sandra erfuhr am eigenen Leib, inwiefern die an einer Interaktion
Beteiligten die Wirklichkeit konstituieren. Vor ihrer
Geschlechtsumwandlung wurde sie oft für einen Transvestiten
gehalten und hatte mit deprimierenden Reaktionen von aussen
zu kämpfen. Dies obwohl sie sich selber als Frau wahrnahm.
Lindemann beschreibt diese für die Betroffenen komplizierte
Situation (ebd., S. 51): Wenn sich Transsexuelle an einer
Interaktion beteiligen, gehen sie nicht unmittelbar darin auf, sie
sind in das System von Gleich- und Verschiedenheit verhackt.
Dies lässt sich folgendermassen veranschaulichen: Sandra, die
verlangt, als Frau erlebt zu werden, fordert von Frauen, sie als
das gleiche und nicht mehr als das andere, und von Männern,
sie als das andere und nicht mehr als das gleiche Geschlecht
wahrzunehmen. Dass die Aussenwelt mit dieser Situation häufig
überfordert ist, bezeugen die Aussagen von Transsexuellen. Wie
auch bei Sandra distanzieren sich Freunde und Familie in den
meisten Fällen und brechen den Kontakt mit der betroffenen
Person ab. Zudem ist das Angebot an professionellen
Hilfeleistungen nicht ausreichend vorhanden.
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Auch in Bezug auf ihre Sexualität macht Sandra interessante
Aussagen. Sie gibt an, bisexuell zu sein. (Als eine der wenigen
inserierenden Prostituierten "verwöhnt" sie auch Frauen). Es
scheint, dass Sandra schon seit längerer Zeit keine privaten
sexuellen Beziehungen mehr pflegt. Dies könnte etwas mit ihrer
Tätigkeit als Prostituierte zu tun haben. Sexualität in der
Beziehung ist für Sandra auch nicht wichtig. Bisexuell kann für
Sandra also auch heissen, dass sie sich eine Freundschaft oder
Partnerschaft mit einem Mann und einer Frau vorstellen könnte,
in welcher sie einen gemeinsamen Haushalt führen und sich gut
verstehen.
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Namen, Ortsnamen etc. wurden von der Autorin dieses Beitrags
geändert.
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Lindemann, Gesa: Wider die Verdrängung des Leibes aus der
Geschlechtskonstruktion. In: Feministische Studien, 11. Jhg, Nr.
2. Deutscher Studien Verlag, 1993.
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Berger, Peter L.; und Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche
Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der
Wissenssoziologie. Fischer Taschenbuch Verlag, 1980.
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