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Zwischen Tradition und Utopie

Von Maja Coradi und Karin Meierhofer

Das soziale System der Zweigeschlechtlichkeit, das die fortgesetzte Einteilung von Individuen in weiblich oder männlich festlegt, stellt eine Form der sozialen Organisation dar, die ihre Weiterführung im Umgang mit der Technik findet. Erst in den 80er Jahren jedoch begann die femisnistische Technikkritik im Rahmen der Techniksoziologie, die Technik als Repräsentation des Patriarchats zunehmend zu kritisieren.

Die Entwicklung von neuen Technologien in der gesamten Technikgeschichte war und ist hauptsächlich von Männern dominiert. Es gibt nur vereinzelt Frauen, die als Forscherinnen den Einzug in die Geschichte fanden - ihre Beiträge sind mehrheitlich verschwiegen worden. Der Prototyp eines Erfinders oder Technikers ist folglich männlich. Die Technik ist zudem seit Jahrhunderten eng verbunden mit den Machtzentren Militär, Kapital und Staat, und beinahe jede neue Technologie hat ihren Ursprung in militärischer Umgebung.

Um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Technik unter einem feministischen Blickwinkel zu betrachten, sollte die heutige Definition der Technik durchleuchtet werden. Sie ist je nach Zeit, Kultur und theoretischer Ausrichtung unterschiedlich. Das im Alltag dominierende Technikverständnis, worauf wir uns hier beschränken möchten, stützt sich auf von Männern entwickelte und angewendete Technologien. Mit Technik werden hauptsächlich Autos, Flugzeuge, Industriemaschinen und neuerdings Computer assoziiert.

Aus dem Erkennen dieser Zusammenhänge heraus begannen Feministinnen, die Beiträge von Frauen an der Technikgeschichte wieder auszugraben und sichtbar zu machen, sowie das Verhältnis von Frauen und Technik theoretisch zu analysieren. Solche feministischen Theorien existieren erst seit kurzer Zeit und die rasante Entwicklung von neuen Technologien fordert zu immer neuen Auseinandersetzungen diesbezüglich heraus. Gerade vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist es nun keineswegs erstaunlich, dass die feministischen Wissenschaftlerinnen vielfältige und überaus unterschiedliche Konzepte vertreten.

Im Groben können drei Grundpositionen unterschieden werden: 1. Der Ökofeminismus geht von zentralen Unterschieden zwischen Männern und Frauen aus. Die weiblichen und männlichen Attribute werden als unveränderlich und bleibend betrachtet. Sowohl Männer als auch Frauen ordnen Weiblichkeit der Natur zu. Ökofeministinnen werten diese Verbindung positiv und argumentieren, dass die Frauen Erfahrungen teilen, über welche die Männer nicht verfügen. Die Naturzugehörigkeit der Frau wird mystifiziert. Ein Matriarchat würde dieser Ansicht nach zu einer besseren Technik und somit zu einer besseren Welt führen.
Ökofeministinnen betonen, dass die Männer sowohl die Natur als auch die Frauen zu dominieren und kontrollieren versuchen. Dazu bedienen sie sich der Technik. Ein Produkt der Technik wird als inherent männlich und als Instrument der Unterdrückung begriffen. Diese Sichtweise kam besonders in der Kritik der Militärtechnologie und der reproduktiven Technologien zum Ausdruck, welche eine patriarchale Ausbeutung des weiblichen Körpers darstellen.
Die Kritik an diesem feministischen Ansatz besteht vor allem in ihrem biologischen Determinismus. Die patriarchale Struktur der Gesellschaft wird nicht hinterfragt und es besteht kein Raum für feministischen Widerstand ausser der Verneinung der Technik; das heisst, der Separatismus erscheint als einziger Ausweg. Die sogenannte Cross-Culture Forschung macht zudem deutlich, dass jegliches Verhalten, welches als männlich und weiblich verstanden wird, als sozial konstruiert angesehen werden sollte. Die Kategorien wären folglich austauschbar.

2. Der liberale Feminismus definiert die Technik an und für sich als geschlechtsneutral, versteht aber die Beziehung der Männer und Frauen zu ihr als unterschiedlich. Die Frauen sind aufgrund ihrer zugeschriebenen und sozialisierten Geschlechtsrolle bei Zugang, Entwicklung und Aneignung von neuen Technologien benachteiligt. Männer und Frauen hätten also grundsätzlich dieselben Potentiale, aber die internalisierte Stereotypisierung schafft Unterschiede zwischen ihnen. Eine in dieser Weise konstruierte Geschlechtsidentität hält die Frauen von technischen Interessen und Berufen fern. Liberale Feministinnen möchten den Frauen Mut machen, auch unkonventionelle Wege einzuschlagen.
Kritisiert wird, dass die Technik an und für sich nicht hinterfragt wird. Es geht einzig um die Teilnahme der Frauen. Das Männliche und die männliche Prägung der Technik ist die Norm - von den Frauen wird lediglich gefordert, die Differenzen dazu zu überwinden. Zudem wird vernachlässigt, dass die Frauen durch weitere Machtaspekte, zum Beispiel durch Klasse und Rasse, zusätzlich ausgeschlossen werden. Ausserdem wir, die Geschlechtsidentität als biologisch und sozial konstruiert dargestellt, analytische Kriterien zur Unterscheidung dieser Kriterien fehlen aber.

3. Ein dritter, aktueller Ansatz leistet eine historische Analyse der Konnotation von Technik und Männlichkeit und geht damit weiter als die bereits erwähnten, eher ahistorischen Theorien. Der Ausschluss der Frauen aus der Technik wird als Konsequenz verschiedener Veränderungen während der industriellen Revolution gesehen. Die Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre, die eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit sich brachte, stellt eine der wesentlichsten Veränderungen dar. Die Technikfähigkeit wurde dadurch Bestandteil der männlichen Identität - Frauen hingegen wollten gar nicht technisch versiert sein, da dies nicht zu ihrer Identität passte. Gemäss dieser Theorie konsolidierte die Wirtschaftsordnung des Kapitalismus die Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern - es wird jedoch diskutiert, ob das Patriarchat bereits vor dem Aufkommen des Kapitalismus bestanden habe oder nicht.

An diesem Ansatz wird bemängelt, dass er ungenügende Definitionen (Mann, Technik) liefert und oft dieselben Begriffe unterschiedlich verwendet. Ausserdem stellt sich die Frage, ob sich die Technik wirklich verändern würde, wenn mehr Frauen in sie involviert wären - denn nicht jeder Mann als solcher "macht" männliche Technik, sondern das ganze Gesellschaftssystem, das Patriarchat, bringt solche hervor.

Neue Perspektiven

Ironischerweise schuf gerade eine Technologie ein neues, völlig andersartiges Medium, das auch für die theoretischen Konzepte von Feministinnen neue Perspektiven auftut: das Internet. Es zeigt eine mögliche Strategie im Umgang mit der männlichen Kodierung von Technik auf. Auch das Internet wurde von Männern entwickelt - in einer der "männlichsten" Institution überhaupt, nämlich im Militär. Das amerikanische Verteidigungsministerium richtete ein Netzwerk ein (vergleiche Artikel "Internet - Geschichte einer Computerrevolution"), das den Ausfall einiger seiner Systeme aushalten konnte, ohne selbst zusammenzubrechen. Das heisst, ein Netzwerk, das auch einen atomaren Anschlag überstehen könnte. Aus diesem sogenannten "Arpanet" wurde das Internet, dessen Ausbreitung sich vom US-Militär bald nicht mehr kontrollieren liess.

Oft wird nun über die revolutionäre Struktur dieses Netzes berichtet. Im Internet lässt sich keine hierarchische Ordnung aufbauen, geschweige denn aufrechterhalten. Es ist konsequent dezentral organisiert. Seine TeilnehmerInnen sind über die ganze Welt verstreut und besitzen keinen gemeinsamen Mittelpunkt. Diese, oft anarchisch genannte Ordnung, kann nur funktionieren, weil im Netz Identitäten verschwimmen. Wer zum Beispiel im sogenannten "Real Life" Leiter eines führenden Industrieunternehmens ist, muss im Netz von niemandem unfreiwillig als Autorität angenommen werden. Wer im Real Life Studentin ist, kann als Kapazität auftreten und angesehen werden. Diese Dynamik spielt unter anderem, weil ja niemand sicher sein kann, dass eine im Internet angenommene Identität auch derjenigen des "Real Life" entspricht. In solcher Weise kann die Unterwanderung der bestehenden Hierarchien auch eine Unterwanderung der Geschlechterordnung bedeuten. Weshalb sollte eine Frau im Netz unterdrückt werden, wenn nicht einmal sicher ist, dass sie wirklich eine Frau ist.

Im Netz kann mit Geschlechterrollen experimentiert werden, wie bis jetzt wohl noch kaum in einem Medium. Sehr eindrücklich erfährt man/frau dies in einem der unzähligen "Multi User Dungeons", abgekürzt MUDs genannt. Der Begriff MUD stammt von einem Computerspiel mit dem Namen "Dungeons and Dragons", in dem ein/e SpielerIn sich durch ein nur mit Text beschriebenes Labyrinth bewegt. Technisch gesehen sind MUDs riesige Datenbanken, die von mehreren BenutzerInnen gleichzeitig abgefragt und verändert werden können. Viele basieren nur auf Text - es entstehen jedoch laufend neue, meist graphische MUDs. Mittels Texten oder Graphiken werden imaginäre Räume, Objekte, oder Umgebungen simuliert. Mit bestimmten Befehlen bewegt sich ein/e BenutzerIn von Raum zu Raum und schaut sich Dinge an, die dort vorhanden sind. Die BenutzerInnen haben auch die Möglichkeit, ihre eigenen Räumlichkeiten zu gestalten, also zum Beispiel mit verbalen oder graphischen Bausteinen ein Haus zu bauen. Ausserdem, und das ist etwas vom Wichtigsten, können Personen in einem MUD auf verschiedene Arten miteinander kommunizieren. Sie können miteinander plaudern, diskutieren, streiten, lachen, spielen, oder einander mittels Worten berühren, schlagen, oder sexuelle Begegnungen haben.
In einem MUD kann jemand unter mehreren Geschlechtern auswählen - nicht nur unter "weiblich" oder "männlich". Möglichkeiten sind zum Beispiel auch "neutral" oder "plural". Das bedeutet, dass eine Frau Erfahrungen darin sammeln kann, wie es wäre, ein Mann zu sein - oder umgekehrt. Gewisse Stimmen sehen darin eine Chance, das andere Geschlecht besser zu verstehen.

Eine weitere Auswirkung, die in letzter Zeit diskutiert wird, könnte auch die vollständige Auflösung der Grenzen zwischen verschiedenen Geschlechtern sein. Was ist schon "männlich", was "weiblich", wenn nicht eine sozial konstruierte Kategorie, für deren Aufhebung nun endlich ein geeignetes Medium entstanden ist?
Donna Haraway, die bereits 1983 das "Manifest für Cyborgs" geschrieben hat, misst dem Internet eine grosse, positive Bedeutung zu. Sie wendet sich klar gegen die Technikphobie vieler Feministinnen und ruft dazu auf, aus dem Erkennen der Unterdrückung (durch Männer und ihre Technologien) neue Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Das Internet bietet ihrer Ansicht nach die Möglichkeit, Grenzen zwischen Geist und Körper, Fiktion und Realität, Natur und Kultur, oder eben Frau und Mann, zu verwischen. Die sogenannte Cyborg stellt für Haraway das Wesen der Zukunft dar: entstanden als Produkt des Militarismus (also aus durch und durch patriarchalen Strukturen), bringt dieser halb technisierte, halb menschliche "cybernetic organism" schliesslich die Befreiung von starren Strukturen - wie zum Beispiel von den herrschenden Geschlechtsvorstellungen - gerade weil er sich nirgends einordnen lässt und stets provokativ, subversiv und ironisch handelt. Cyborgs sind "Geschöpfe einer Post-Gender-Welt", in welcher ein Körper unzählige spielerische Möglichkeiten bietet. Der Körper ist weder ein Gefängnis für die Psyche noch eine unveränderbare Materie.
All dies tönt für uns, die wir uns doch eher als menschliche Körper im alten Verständnis denn als Maschinen fühlen, ziemlich abstrakt und abgehoben. Doch Donna Haraway würde uns sicher näherbringen können, weshalb gerade wir, BewohnerInnen des postindustriellen Westens, allen Grund hätten, uns als Cyborgs zu sehen: wer von uns kann schon wirklich problemlos ohne Maschinen existieren? Nicht wenige von uns tragen sogar ein Produkt unserer Technologie in ihrem Körper; sei dies ein Herzschrittmacher, eine Prothese oder ein mechanisches Verhütungsmittel. Frauen sollte es primär darum gehen, immer mehr Bereiche der Technologie mit dem Ziel zu beanspruchen, die ihnen zugeschriebene Rolle zu untergraben - eben: subversive Cyborgs zu sein! Damit tragen sie dazu bei, dass von einem "sozialen System der Zweigeschlechtlichkeit" nicht mehr die Rede sein muss.
Dieses Konzept wirkt revolutionär, die Gedanken sind bestechend. Wäre da nur nicht die eine Tatsache, dass sich im Internet vor allem Männer tummeln! Etwa 20% "echte" Frauen können wohl nicht genügend Verwirrung stiften, um die Geschlechterrollen aufzuweichen. Männer, die sich als Frauen ausgeben, pflegen oft ein Bild der Weiblichkeit, das stereotyper nicht sein könnte. Wenn diejenigen, die an der Aufhebung der Zweigeschlechter-Gesellschaft Interesse haben, nicht im Netz präsent sind, nützt alles Wissen um die Möglichkeiten dieser neuen Technologie nichts. Der Kampf der Cyborgs müsste wohl in anderer Form und in anderen Bereichen der Gesellschaft ebenfalls und nicht minder engagiert geführt werden.

Die Autorinnen dieses Artikels arbeiten an einer Forschungsarbeit zum Thema "Computer und Internet - Eine Welt ohne Frauen?"

Literatur:

Grinth, Keith / Gill, Rosalind (Hg.): "The Gender-Technology Relation. Contemporary Theory and Research." Taylor & Francis, 1995.
Pfeiffer, Andrea / Kriesi, Irene: "Wer wählt Wirtschaftsinformatik?" Lizentiatsarbeit eingereicht bei Prof.Dr. M. Buchmann, Soziologisches Institut der Universität Zürich, 1996.
Haraway, Donna: "Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen." Campus, 1995.
Ursula von Arx: "cyber ist safer" in: FRAZ, Frauenzeitung, 1/96.

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23.01.02 15:41


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