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Der Slum

Von Claudio Busarello

Bedürftige Bevölkerungsgruppen vermögen ihr Überleben meist nur durch eine Kombination von verschiedenartigen Produktionsformen zu sichern. Dies erreichen sie durch konstantes strategisches Handeln. Es reicht jedoch nicht aus, nur die Produktionsformen zu analysieren, um die Existenzsicherung angemessen zu erklären, sondern man muss auch "nicht-gewinnbringende" Tätigkeiten, soziale Beziehungen und die Bedeutung, welche die Handelnden ihren Tätigkeiten beimessen, berücksichtigen. Ein kurzer Einblick in die Geschichte des Slums soll uns helfen, diese Verhältnisse zu verstehen. Dies soll am Beispiel vom Slum Klong Toey erklärt werden.

Der Slum gilt als grösster Slumkomplex Bangkoks. Viele Slumbewohner arbeiten als Kulis und versuchen so, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Verschiedene Pläne, die Slumbewohner in Häuserkomplexe umzusiedeln, sind fehlgeschlagen; nicht nur weil die Slumbewohner Angst haben, dadurch ihre Verdienstmöglichkeit am Hafen auf diese Weise an andere zu verlieren, sondern auch weil die starken sozialen Kontakte, die unter den Slumbewohnern vorherrschen, abgebrochen würden. Die Einfachheit der Hütten birgt zudem noch andere Vorteile. So kann die Hütte bei Besuch oder bei grossem Familienzuwachs ganz einfach ausgebaut werden. Der grösste Teil der Slumbevölkerung zieht demnach die Sicherheit ihrer angestammten Nachbarschaft den Wohnsilos vor.

Für die Slumbevölkerung sind soziale Kontakte nicht nur im Privatleben von grosser Bedeutung. Da eine Melde- oder Vermittlungsstelle für Arbeit nicht existiert, organisieren sich die Slumbewohner in Gruppen, um für potentielle Arbeitgeber verfügbar zu sein. Auch wohnen viele der für das Anheuern der Kulis verantwortlichen Vorarbeiter in den Slums. Somit sind gute soziale Kontakte gerade doppelt wichtig in der Arbeitswelt. Diese Art von Gruppenverband erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit von häufigeren Arbeitseinsätzen, sondern der einzelne kann im Falle von Einkommensausfällen auf die Solidarität anderer zählen. Man darf sich das aber nicht als "Arbeitsgemeinschaft" (und diese wiederum als Überlebensstrategie) vorstellen, sondern eher als Gruppe von Freunden, welche sich zumeist schon aus ihrer Jugendzeit kennen.

Die Gruppe bringt jedoch nicht nur Vorteile. Zum Beispiel entscheidet über die Verwendung des verdienten Geldes die Gruppe, was dazu führt, dass die Familienangehörigen meist vernachlässigt werden. So sucht sich jedes Familienmitglied seine eigenen Einnahmemöglichkeiten.

a) der Slum ist nicht nur ein Reservoir an günstigen Arbeitskräften, sondern eine Art Siedlung mit ihren eigenen Regeln und Besonderheiten. Klar bietet der Slum günstige Arbeiter, welche zudem jederzeit abrufbereit sind, doch haben die Slumbewohner auch ihre eigenen Erwerbszweige innerhalb des Slums geschaffen. Der Slum wird aber nicht nur wegen den Arbeitskräften geduldet, sondern auch aus dem Grund, dass sich gegen eine Zwangsumsiedlung heftiger Widerstand regen würde. Aus diesem Grund sind die Pläne einer Umsiedlung in Wohnblöcke gescheitert.

b) ich glaube nicht, dass Wohnblöcke, egal wo sie stehen, asozial sind, sondern sie bewirken nur eine Veränderung im sozialen Leben. Die Gründe der Slumbewohner nicht in die Wohnblöcke zu ziehen, war nicht die Angst vor einem asozialen Leben, sondern sie wollten ihre soziale Lebenssituation nicht ändern, denn auch ein Wohnblock ist eine Form von Zusammenleben.

c) man könnte meinen, die liberale Marktwirtschaft führe wirklich zur Ausbeutung der Kulis, da aber viele Vorarbeiter, die den Slumbewohnern Arbeitenan vermitteln, selber aus dem Slum kommen und somit mit vielen Kulis befreundet sind, können sie aufgrund ihrer sozialen Abhängigkeit nicht unter einen bestimmten Mindestlohn gehen.

d) Das abendliche Beisammensitzen ist bei Slumbewohnern wichtig, da sie somit Tag und Nacht abrufbereit sind. Bei uns hingegen ist es eher unüblich, auf Abruf bereit sein zu müssen, da die meisten Arbeitenden eine feste Stelle besitzen. Vergleichbar hingegen sind Freundschaften, die in der Freizeit gemacht werden und die gleichzeitig bei einem Stellenwechsel hilfreich sein können.

e) Man ist in der Schweiz nicht so detailliert über das Einkommen jedes einzelnen informiert. Man spricht nicht über Geld, doch weiss man trotzdem, wieviel ungefähr jemand für seine Arbeit verdient.

f) Bei den Slumbewohnern ist das Berufsleben und Privatleben so eng miteinander verknüpft, dass eine getrennte Analyse keinen Sinn machen würde. Es wäre nur sinnvoll, die verschiedenen Aspekte des alltäglichen Lebens zu berücksichtigen, um geeignete Massnahmen treffen zu können.


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23.01.02 15:42


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