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Im Bereich der Sexualität hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts
ein entscheidender Wandel vollzogen. Die Sexualität dient in
unserem Jahrhundert in zunehmenden Masse der
Selbstverwirklichung, sie hat sich also stetig von der
Reproduktion abgelöst. Auch in Bezug auf die Onanie haben sich
die gesellschaftlichen Auffassungen entscheidend verändert. In
einer Seminararbeit bei Prof. Dr. M. Buchmann habe ich unter
anderem den Bedeutungswandel der Onanie theoretisch
hinterfragt und an einigen empirischen Beispielen aufgezeigt.
Für den illustrativen Teil habe ich drei verschiedene Quellen
bearbeitet, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in diesem
Jahrhundert entstanden sind, und sie auf ihren jeweiligen
Bedeutungsgehalt hin untersucht. Der Bedeutungswandel der
Sexualität im allgemeinen enthält auch eine
geschlechtsspezifische Komponente und muss im
Zusammenhang mit der sich verändernden Geschlechtsidentität
der Männer und Frauen im 20. Jahrhundert gesehen werden.
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Die Genese der Sexualwissenschaften
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André Béjin beschreibt in seinen beiden Artikeln "Niedergang der
Psychoanalytiker, Aufstieg der Sexologen" und "Die Macht der
Sexologen und die sexuelle Demokratie" womit sich die
Sexualwissenschaften der Moderne hauptsächlich beschäftigen
und welche Inhalte zentral sind. Zudem stellt er den
Zusammenhang zur Macht her, die diese Wissenschaft auf
unsere Gesellschaft ausübt. Bei Béjin stehen die Bereiche
"Orgasmus" und "Onanie" im Zentrum seiner Analyse. Béjin
unterscheidet zwei Geburten der Sexualwissenschaften
(Sexologie). Das erste Mal gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Diese "erste" Sexologie kümmerte sich hauptsächlich um
Geschlechtskrankheiten, die Psycho-pathologie der Sexualität
und die Eugenik. Ziel dieser Form der Sexualwissenschaft war
das Ausmerzen von sexuellen Abweichungen und
"Perversionen" (z.B.Geschlechtskrankheiten, Homosexualität)
und die Aufrechterhaltung der christlichen Moral. Den Ursprung
unserer heutigen, zweiten Sexologie datiert Béjin etwa zwischen
1922 und 1948 (Erscheinung des ersten Werkes von Kinsey).
Diese Form der Sexual-wissenschaft und Orgasmologie bricht
auch mit der Tradition der Pathologisierung der Onanie. Die
Masturbation wird von den OrgasmologInnen als eine normale
Lustquelle gesehen, die zur Ergänzung und Anregung der
übrigen sexuellen Aktivitäten dienen kann; überdies tauge sie als
Hilfsmittel gegen bestimmte Störungen sowie zur deren
Vorbeugung (zum Beispiel der Frigidität). Béjin bezieht sich in
diesem Punkt auf SexologInnen, die sich einen "Plan für die
sexuelle Karriere" ausdachten: Wer in seiner Jugend nicht
ausreichend masturbiert oder zögert, zu den vielfältigsten
Formen sexueller Befriedigung zu greifen, erhöht das "Risiko"
sexueller Funktionsstörungen. SexologInnen haben also der
Masturbation eine besondere Rolle zugeschrieben. Gerade die
Masturbation erschliesst den Zugang zu einer ersten Stufe
sexueller und psychischer Reife, die ihrerseits die Möglichkeit zu
befriedigenden sexuellen Beziehungen eröffnet. Das Erlernen
der Masturbation geht demnach dem Erlernen der
partnerschaftlichen Sexualität voraus. Béjin betont, dass schon
Kleinkinder ihre Sexualität beim Masturbieren entdecken. Die
zweite wichtige sexuelle Reifungsphase sei die Pubertät.
SexologInnen betonen, dass Jugendliche, die diese Phase der
Masturbation nicht durchgemacht haben, als Erwachsene
häufiger mit sexuellen Schwierigkeiten rechnen müssen als
andere.
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Die Bedeutung von Onanie - eine exemplarische Untersuchung
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Meine Quellen decken drei Zeitpunkte dieses Jahrhunderts ab.
Die Jahrhundertwende (1906 und 1910), die Zeit zwischen
erstem und zweiten Weltkrieg (1932) und die unmittelbare
Gegenwart (1995).
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Die ältesten Quellen sind die beiden Aufklärungsbücher aus
dem Jahre 1909: "Was ein Knabe wissen muss" bzw. "Was ein
junges Mädchen wissen muss" . Diese beiden Werke sind für
junge Erwachsene in dieser Zeit geschrieben worden. In einer
Sprache, die reich an Metaphern aus dem Katholizismus ist, wird
den damaligen Adoleszenten erklärt, was es mit der
Fortpflanzung auf sich hat, wozu ihre Geschlechtsteile da sind
und wie sie ihren Körper und Geist gesund halten können. Die
später folgenden ausgewählten Zitate sind fragmentarisch und
beispielhaft.
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Die zweite bearbeitete Quelle stammt aus einem Buch von
Horkheimer, Fromm und Marcuse . Es handelt sich dort um
einen Fragebogen der im Jahre 1932 an 360 deutsche
Spezialärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Frauenleiden
und nervöse Störungen versandt wurde. Die Autoren wollten in
ihrer Untersuchung die Sexualmoral der Nachkriegszeit
untersuchen.
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Der dritte Untersuchungsgegenstand ist das 1995 erschienene
spektakuläre Buch von Klaus Heer: "Ehe, Sex & Liebesmüh" .
Klaus Heer ist Paartherapeut. Er interviewte in seinem Werk
zwanzig verheiratete Männer und Frauen zwischen 33 und 74
Jahren zu ihrer praktizierten Sexualität. Alle interviewten
Personen sind zwischen zehn und 51 Jahren verheiratet. Alle
haben ein oder mehrere Kinder. Sie bilden eine Stichprobe
traditioneller Lebenssituationen (keine Singles, keine
Homosexuelle, etc.).
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Meine Hypothesen zur Onanie lauteten wie folgt:
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1.
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Im Bereich der Thematisierung der Onanie hat sich im
Laufe des 20. Jahrhunderts entscheidendes verändert:
War sie zu früherer Zeit verboten und mit Tod und Verderb
in Zusammenhang gebracht, hat sie für die befragten
Personen bei Klaus Heer eine andere Bedeutung.
Onanie ist für die befragten Personen in zunehmendem
Masse ein integrativer und natürlicher Bestandteil ihrer
Sexualität.
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2.
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Vorwiegend bei den älteren befragten Personen (Heer,
1995) sind Überbleibsel der restriktiven Sexualmoral aus
früherer Zeit zu entdecken, die sich in der Thematisierung
von Onanie widerspiegeln.
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Zitate aus: Sylvanus Stall: Was ein Knabe wissen muss (1906)
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Neunter Brief: "Mein lieber Heinrich! Gott gab dem Menschen
Hände, aber er verlieh ihm auch Vernunft, das sittliche Gefühl
und das Gewissen, damit er sie in rechter Weise gebrauchte. Mit
Hilfe der Hände sollte er sich nach Gottes Willen weit empor
über die anderen Geschöpfe erheben. Und dennoch, bis weit
unter das niederste Tier finden viele Männer und leider auch
Knaben gerade durch einen Missbrauch ihrer Hände herab!
Anstatt mit ihnen das zu tun, was sie als vernunftbegabte und
sittliche Wesen damit tun sollten, gebrauchen sie die Hand dazu,
ihren Körper zu beflecken. Sie fassen damit an ihr
Geschlechtsglied und spielen daran, um eine besondere
Empfindung, ein gewisses Gefühl hervorzurufen, das für den
Augenblick wohl angenehm ist, aber die ernstesten Schäden für
ihre sittlichen und geistigen Kräfte und für ihre Gesundheit nach
sich zieht. Man nennt diese Gewohnheit Selbstbefleckung oder
Masturbation. Aber Gott hat uns dieses Glied nicht zu solchem
Missbrauch verliehen." (S. 86-87)
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Zehnter Brief: "Mein lieber Heinrich! In meinem letzten Briefe
habe ich davon gesprochen, dass viele Knaben, jüngere und
ältere, ihren Körper schänden und beflecken, indem sie in
unnützer Weise und zu ihrem grossen Schaden an ihr
Geschlechtsglied fassen und daran herumspielen und reiben.
Nach Gottes Absichten hat nun aber dieses Glied eine doppelte
Bestimmung: seine erste ist, zur Ausscheidung der wertlosen
und verbrauchten Flüssigkeiten aus dem Körper zu dienen, und
seine zweite liegt darin, dass es einen Teil des
Fortpflanzungsorganismus bildet." (S. 93)
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Elfter Brief: "Wo solche ungünstigen Verhältnisse vorliegen
und aus Unkenntnis nicht beseitigt werden, da bildet sich die
Selbstbefleckung leicht zu einer steten Gewohnheit aus und wird
schliesslich mit solcher Leidenschaft betrieben, dass
Verblödung und Tod eintreten können und häufig wirklich
erfolgen." (S. 107)
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Zwöfter Brief: "Von dem verzweifelt hilflosen Zustand, in
welchen ein Knabe, bei dem dieses Laster zur hartnäckigen
Gewohnheit geworden ist, schliesslich gerät, kannst Du Dir
daraus eine Vorstellung machen, dass man ihn, um ihn an einer
Wiederholung seiner lasterhaften Handlungen zu hindern und
wenn möglich, dauernd von dem Übel zu befreien, oft in eine
Zwangsjacke stecken oder seine Hände auf den Rücken oder an
die Bettpfosten binden oder mit Stricken und Ketten an Ringe in
der Wand befestigen muss." (S. 119-120)
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Zitate aus: Mary Wood-Allen: Was ein junges Mädchen wissen muss. (1910)
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19. Kapitel. Geheime Laster: "Sobald die Geschlechtsorgane in
ihre Funktionen eintreten, wird sich ihnen naturgemäss die
Aufmerksamkeit des jungen Mädchens zuwenden; man muss
sich dann ernstlich bemühen, ihren Gedanken eine andere
Richtung zu geben. Romanlektüre ist, wie ich schon einmal
erwähnt habe, höchst nachteilig. Die Beschreibungen
leidenschaftlicher Liebeszenen rufen in den
Geschlechtsorganen der Leserin Erregungszustände hervor, die
diese Organe zu erhöhter Tätigkeit anreizen und ihre Gesundheit
zerstören. Junge Mädchen werden oft früher als nötig zur Reife
gebracht, weil ihre Sinnlichkeit durch Romanlesen, durch die
Anspielungen ihrer Freundinnen auf Liebhaber, durch
sentimentale Phantasien, in denen sie sich ergehen,
ungebührlich gereizt und erregt wird. Solche Erregungen führen
manchmal zu der schlechten Gewohnheit, die unter dem Namen
Selbstbefleckung bekannt ist. Die Reizung der
Geschlechtsorgane ist von einer angenehmen Empfindung
begleitet. Sie kann durch mechanische Mittel, ja schon durch
blosse Gedanken hervorgerufen werden. Viele Mädchen, die
dieser verderblichen Gewohnheit verfallen sind, ahnen die
Gefahren nicht, die ihnen drohen, obgleich sie intuitiv fühlen,
dass niemand etwas davon erfahren darf, was sie treiben." (S.
142-143)
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"Die Selbstbefleckung hat höchst unheilvolle Folgen. Sie zerstört
die geistigen Kräfte und das Gedächtnis, sie verursacht einen
unreinen Teint und macht die Augen trübe, sie zehrt an den
Körperkräften und kann sogar zum Wahnsinn führen. Es ist eine
Gewohnheit, die schwer auszurotten ist, die jahrelang andauern
und sich sogar auf die Kinder vererben kann." (S. 143)
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"Die Zeugungsorgane sind der Sitz ausserordentlich reizbarer
Nerven. Ihre Erregung, sei sie nun durch mechanische Mittel
örtlich hervorgerufen oder aber auf geistigem Wege entstanden,
ist von angenehmen Empfindungen begleitet. Bei kleinen
Kindern wird manchmal eine derartige Reizung durch
mangelnde Sauberkeit der äusseren Organe verursacht. Das
Kind versucht dann den Reiz durch Reiben zu lindern. Dadurch
entsteht ein angenehmes Gefühl, das Reiben wird wiederholt,
und es bildet sich schliesslich die schlechte Gewohnheit der
Selbstbefleckung." (S. 144)
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"Die einzige natürliche Form, in der das Geschlechtsgefühl
erweckt werden darf, hat Gott der Herr in der heiligen Ehe
eingesetzt, und ein Mädchen, das sich selbst achtet, fühlt wohl,
dass jedes andere persönliche Eingreifen weder recht noch
anständig ist." (S. 146)
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Zitate aus: Studien über Autorität und Familie (1932)
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Warum ist die Onanie schädlich?
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"Ist nur schädlich im Übermass. Gelegentlich (etwa
wöchentlich 1 - 2 Mal) Traumentladung oder im Anschluss an
Träume im Selbstbewusstsein sind unvermeidlich. Alle
provozierten Entladungen im reinen Wachzustand sind zu
vermeiden, hier und da können sie passieren. Zu häufige
(abhängig vom Naturell und der Art, wie es vertragen wird)
Entladungen sind körperlich und seelisch ruinös." (S. 283)
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"Die Onanie ist nicht so schädlich, wie vielfach behauptet wird.
Aber sie hat zweifellos ihre Schäden: 1. Wird sie aus
begreiflichen Gründen viel häufiger als ein normaler Koitus
ausgeübt und führt deshalb leicht zu sexueller Erschöpfung und
vorzeitigen Potenzstörungen. 2. Frauen, die masturbiert haben
oder noch onanieren, sind beim normalen Verkehr oft frigid (a)
aus psychischen Gründen, weil die Frau bei der Masturbation
keine Gravidität zu befürchten hat, weil sie sich dabei ihr
sexuelles Ideal als Partner vorphantasieren kann etc., (b) weil
eine Frau onaniert, wenn sie Lust dazu hat, aber koitiert, wenn
der Mann es will, (c) weil durch die Masturbation erogene Zonen
bevorzugt werden, die beim Koitus häufig unberücksichtigt
bleiben. 3. Einer der grössten Schäden ist die Furcht vor den
vermeintlichen üblen Folgen der Onanie." (S. 283)
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"Das alte Axiom über die Schädlichkeit der Onanie ist nicht
mehr aufrecht zu erhalten. Die Onanie ist die normale
Geschlechtsbetätigung der sich entwickelnden Jugend und nicht
exzessiv betrieben absolut nicht schädlich. Schädlich ist nur der
Gedanke, dass die Onanie schädlich sein könnte. Und die
ungezählten Neurastheniker sind auf die Angst zurückzuführen
und nicht auf die von ihnen betriebene Onanie." (S. 283)
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"Der körperliche Schaden einer nicht zu früh begonnenen und
nicht zu intensiv betriebenen Onanie ist - null . Grösser ist der
seelische Schaden, weil er vom Weibe wegzieht. Auf diese
Weise kann es je nach den Faktoren, die noch hereinspielen, zu
Homosexualität und anderen Perversionen, zu Impotenz und zu
liebeleerer Begattung (die Frau ist nur Onanierinstrument)
kommen." (S. 283)
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Zitate aus: Ehe, Sex & Liebesmüh (1995)
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Y, 33 Jahre, w: "Befriedigen Sie sich manchmal auch selbst?
Selten. Nach den Geburten war es häufiger, als ich eine gewisse
Abneigung gegenüber meinem Mann hatte und mir trotzdem
sexuell etwas fehlte. Geniessen Sie es nicht besonders? Doch,
schon. Aber da sind auch Schuldgefühle. Ich fürchte, mein Mann,
der neben mir schläft, könnte mich dabei erwischen (...)." (S. 18)
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S, 39 Jahre, w: "Während Ihrer guten Phase onanieren Sie
häufig? Ja. Jeden Tag? Ja. Mehrmals am Tag? Wenn möglich,
ja. Zwei, dreimal am Tag? Ja. Es gefällt Ihnen wirklich? Mangels
einer besseren Alternative, ja. Ich muss froh sein um diese
Ersatzmöglichkeit, um nicht ganz zu vertrocknen." (S. 398)
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P, 40 Jahre, m: "Befriedigen Sie sich selbst? Wenig -
höchstens, wenn zwei Wochen zwischen uns gar nichts läuft.
Wenn ich dann massiv unter sexuellem Druck bin, habe ich das
Gefühl, jetzt gehe es gar nicht mehr um meine Frau, sondern um
Sexualität schlechthin. Dann onaniere ich sehr gern." (S. 196)
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K, 50 Jahre, m: "Befriedigen Sie sich selbst? Höchst selten,
weil es mir nachher nicht gut geht. Diese verdammte Leere! Ich
fühle mich wie ausgelaufen." (S. 390)
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D, 61 Jahre, w: "Sie befriedigen sich nicht selbst? Doch, aber
nicht so direkt. Ah, sie mögen dort keine direkten Berührungen?
Genau, genau! Ich habe es lieber, wenn man die Klitoris
ausklammert. (...)" (S. 83)
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W, 67 Jahre, m: "Wie war Ihre Sexualität in der ersten Ehezeit?
Was mich störte, war, dass ich während unserer Ehe ziemlich
viel onaniert habe, und zwar fast zwanghaft. Ich war dann
nämlich zu wenig potent. Es störte Sie, dass Sie dann das Pulver
schon verschossen hatten? Ja. Ich vermute, es wäre schöner
gewesen, wenn ich nicht onaniert hätte. Woran merkten Sie das?
Es brauchte jeweils ziemlich viel, bis die Entladung kam." E, 73
Jahre, m: "Genossen Sie die Selbstbefriedigung? Ich weiss,
dass ich das eigentlich nicht darf. Wieso? -Ich probiere doch
wieder, es mit ihr gut zu haben. Ich erweise ihr Liebes, soweit ich
kann. Habe ich denn noch das gleiche Verlangen nach meiner
Frau, wenn ich mich selber befriedige? Offenbar schon: Sie
befriedigen sich ja... Nein, nein! Seit diesem Jahr gibt's das nicht
mehr! Ich war bei einem Seelsorger, und der sagte mir, dass ich
das nicht machen solle. Ich will ja wirklich den Schritt auf meine
Frau zu wieder tun, verstehen Sie? Genossen Sie die
Selbstbefriedigung im letzten und vorletzten Jahr? Im Moment
jeweils schon, aber der Frust kam hinterher immer. Schlechtes
Gewissen? Ja, es fehlt einem plötzlich die wahre Liebe, und
natürlich der Körper der Frau." (S. 63)
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M, 74 Jahre, w : "(...) Als ich Ende September zwei Wochen mit
einer Freundin im warmen Sizilien war, kam es noch mal zurück,
und ich dachte zum ersten Mal: "Wenn ich doch nur den Karli hier
hätte!" Und weil er nicht da war, befriedigte ich mich zum ersten
Mal in meinem Leben selber." (S. 425)
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Ergebnisse: Onanie - das geheime Laster
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Die erste Hypothese hat sich vollumfänglich bewahrheitet.
Aus den ersten beiden Quellen ist klar ersichtlich in welch
hohem Masse die postulierten Folgen der Onanie - Zerstörung
von Geist und Körper - die jungen Menschen erschrecken und
einschüchtern konnten. In den Ausführungen für die Knaben fällt
zudem auf, dass die bedrohlichen Folgen der Onanie einen
grösseren Teil der Lektüre beinhalten. Mädchen wurden im
Gegensatz zu den Knaben als wenig oder gar nicht sexuelle
Wesen wahrgenommen. In dem Aufklärungsbuch für Mädchen
wird deshalb die Onanie einzig in Bezug zur Romanlektüre oder
auf Einwirkung von äusseren Faktoren wie Kleidung oder
Hygiene thematisiert. Bei den Studien über Autorität und Familie
lässt sich eine teilweise Lockerung der restriktiven Moral
beobachten. Die befragten Ärzte haben sehr unterschiedliche
Meinungen. Das "Onanietabu" scheint sich langsam zu
entschärfen. Onanie "im Übermass" wird zum grösseren Teil
aber immer noch verurteilt. Zudem wird teilweise noch das Bild
aufrechterhalten, dass "zuviel" Onanie zu "sexueller
Erschöpfung", "Homosexualität" und "Potenzstörungen" führen
kann, und "vom Weibe wegzieht". Bei den Auswirkungen auf
Frauen befürchten die befragten Ärzte ebenfalls, dass diese sich
wegen der Onanie weniger für ihren Partner interessieren
könnten, weil "durch die Masturbation erogene Zonen bevorzugt
werden, die beim Koitus unberücksichtigt bleiben". Hier wird die
Klitoris angesprochen, die bis weit in die siebziger Jahre hinein
als weibliche Lustquelle verneint wurde.
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Die zweite Hypothese muss differenzierter betrachtet werden.
Bei den Interviews von Klaus Heer fällt auf, dass auch die
jüngeren Menschen zum grossen Teil noch ein sehr
ambivalentes Verhältnis zur Onanie haben. Das Zusammensein
mit dem/der PartnerIn ist für die befragten nach wie vor wichtiger.
Einige plagen Schuldgefühle oder sie fühlen sich hinterher "leer"
und "erschöpft". Zudem hat die Onanie für die Männer, einen
stark funktionalen Charakter. Diese Vorstellung, dass zuviel
Onanie zu sexueller Erschöpfung führen kann, hat sich
scheinbar erhalten. Frauen "tun es" seltener oder in einer Weise,
dass sie den direkten Körperkontakt vermeiden. Dies ist insofern
interessant, als bereits in den Ausführungen zur Onanie im
Jahre 1910 nur externe Faktoren als Lustquelle für Frauen
diskutiert wurden. Für einen Teil der Befragten ist die Onanie
aber auch etwas selbstverständliches und/oder vergnügliches.
Ich würde aufgrund meiner Untersuchung noch nicht so weit
gehen und die Forderung von Béjin bestätigen, die aussagt,
dass die Onanie als "normale Lustquelle" gesehen werden soll.
Béjin sagt aus, dass die SexologInnen die Masturbation als ein
wesentlicher Zugang zu sexueller und psychischer Reife
voraussetzen. In diesem Fall müsste gesagt werden, dass viele
der von Heer befragten Personen diese Reife, aufgrund ihres
ambivalenten Verhältnises zur Onanie, nicht erreicht haben.
Onanie scheint für viele der Befragten nach wie vor einen
Tabubereich zu angieren, was vor dem Hintergrund der
jahrhundertelangen Verteufelung der Masturbation nicht zu
erstaunen vermag. Auffällig ist zudem der eine alte Mann, der "es
nicht tun darf", weil Gott es nicht erlauben würde und der deshalb
sogar einen Seelsorger aufsucht, und die 74jährige Frau, die es
in ihrem Leben erst einmal "getan" hat. Sie können als Zeugen
gesehen werden, deren Moral immer noch sehr vom
Katholizismus und der restriktiven Sexualität der alten Zeit
beeinflusst ist.
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In der Sexualität hat sich in den letzten 100 Jahren ein enormer
Wandel vollzogen. Die Onanie und der Orgasmus werden in den
beiden alten Aufklärungsbüchern ausschliesslich im
Zusammenhang mit Reproduktion gebracht. Die
"Lebensenergie" darf nicht "vergeudet" werden, sondern ist nur
vorhanden, um "ein neues Wesen zu erzeugen". Bei Klaus Heer
hingegen kann exakt das Gegenteil festgestellt werden:
Reproduktion ist kein Thema mehr (nicht einmal mehr die
Verhütung). Eine geglückte Sexualität steht im Zentrum.
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