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"Die Trennung von Macht und Sexualität ist als kulturelle Norm
etabliert. Macht darf ihr zufolge nicht dazu verwendet werden,
sexuelle Handlungen zu verlangen oder zu erzwingen.
Demgegenüber erscheint das SM-Ritual normwidrig." (S. 149)
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Durch den spektakulären Entscheid des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte wurde das Thema
"sadomasochistische Sexualpraktiken" wieder einmal heftig
diskutiert. Der Entscheid hielt fest, dass sadomasochistische
Praktiken zukünftig strafbar sein können, wenn sie zu
Körperverletzung führen. Dies auch in dem Fall, wenn der
masochistisch an der (Miss-)Handlung Beteiligte mit der Praktik
einverstanden ist. Was aber steckt aus soziologischer
Sichtweise hinter dem Phänomen des Sadomasochismus? Wie
ist dieser Entscheid vor dem Hintergrund einer
sadomasochistischen Subkultur zu werten? Das Buch
"Sado-masochismus. Szenen und Rituale" bringt uns das
Phänomen des Sadomasochismus auf eindrückliche Weise und
mit viel Empathie näher.
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Der forschungsstrategische Ansatz
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"In Wirklichkeit aber gibt es keine Transvestiten, Fetischisten,
Pädophilen oder Homosexuellen und auch keine Sadisten und
Masochisten. Es gibt nur Individuen, die in bestimmten
Kontexten bestimmte sexuelle Reaktionen und
Verhaltensweisen zeigen können, aber nicht müssen." (S. 12)
Das Buch "Sadomasochismus. Szenen und Rituale" wurde von
der "Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Forschung
und Weiterbildung" der Universität Trier veröffentlicht. Es basiert
auf einem Forschungsprojekt, das in der Abteilung Soziologie
durchgeführt wurde. Die AutorInnen betreiben
ethnographisch-soziologische Forschung, in deren Tradition
auch kulturelle Sonderwelten untersucht werden. Ihre Aufgabe
liegt im Verstehen von Sinnmustern, die sich in den Handlungen,
Ritualen und Gegenständen verkörpern.
"Wir wollen mit Hilfe eines streng ethnographischen
Forschungsverständnisses über subjektnahe und verstehende
Strategien die typischen Sinnmuster dieser fremden - von der
soziologischen Forschung kaum berührten - Welt
rekonstruieren." (S. 23)
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Die AutorInnen arbeiteten mit Daten, die entweder vom
kulturellen Feld selbst produziert wurden (Zeitschriften,
Videofilme, Ästhetik etc.) oder mit dem Einsatz
wissenschaftlicher Methoden (Problemzentrierte Interviews,
Beobachtungen, Gruppendiskussionen). Es ging den
ForscherInnen primär um den "tatsächlich subjektiv gemeinten
Sinn und weniger um die latenten Sinnstrukturen" (S. 31). Das
Buch behandelt verschiedene Teilbereiche des
Sadomasochismus: Entdeckung der persönlichen Neigungen,
Beziehungsformen, Codes und Symbole, Phantasien,
Pornographie, Gefühle und Erlebnismuster, heterosexueller und
homosexueller Sadomasochismus, etc. Hier der Versuch einige
zentrale Ausschnitte aufzuzeigen und zusammenzufassen.
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Die Entdeckung von sadomasochistischen Neigungen
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"Trotz aller Gegensätzlichkeit ist den Erklärungsmustern der
früheren Sexualforschung wie auch der Psychoanalyse gemein,
dass sie eine normale Sexualität definieren, einzelne
geschlechtliche Aberrationen klassifizieren und ihnen bestimmte
Ursachenkomplexe zuordnen." (S. 42)
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Die AutorInnen klammern in ihrem Buch die individuelle Genese
sadomasochistischer Neigungen aus. Sie wollten einzig von den
Befragten wissen, wie diese ihre ersten Erfahrungen im Bereich
des SM (2) beschreiben. Die AutorInnen unterscheiden einen
selbst- und einen fremdinitiierten Weg. Bei den erstgenannten
liegt schon länger ein latentes Interesse am SM vor. Bei den
Fremdinitiierten baute der/die LebenspartnerIn oder eine weitere
Person das Interesse aus. Es wird aufgezeigt, "dass SM nicht
ohnmächtiges Triebschicksal, sondern auch Fokus von
Selbstreflexion, Selbst-thematisierung und Selbststilisierung ist"
(S. 59).
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Frauen sind in der SM-Szene deutlich in der Minderzahl. Deshalb
gestaltet sich für heterosexuelle, sadomasochistisch veranlagte
Männer die Suche nach einer Partnerin oft schwierig. Häufig führt
ihre Suche über Kontaktanzeigen zu einer professionellen
Domina. Zudem bilden Parties und Gruppen-Meetings
Möglichkeiten für das Knüpfen von Kontakten mit
gleichgesinnten Partnerinnen. Bei SM-Schwulen hingegen
lassen sich keine Probleme bei der Partnersuche erkennen.
Dafür ist es für Frauen aus der SM-Lesben-Szene nicht einfach
eine Partnerin zu finden.
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"Hier wird es wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, die
ideologischen Grabenkämpfe zwischen SM- und anderen
Lesben zu beenden." (S. 63)
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Die sadomasochistische Subkultur
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Es gibt viele öffentliche SM-Veranstaltungen, Fetisch-Bälle und
SM-Discos. Jede/r mit entsprechendem Outfit kann teilnehmen.
Nur in kleineren privaten Zirkeln gibt es
Zugangsbeschränkungen. Auf den grösseren Veranstaltungen
ist der sexuelle Aktionsradius eindeutig begrenzt. Erlaubt ist das
bizzare Outfit oder auch die gekonnt umrahmte Nacktheit.
SM-Handlungen kommen, je nach Gruppe, angedeutet im
Rollenspiel vor oder als Sklavenvorführungen die auch etwas
härter sein dürfen. Je vertrauter hingegen der Teilnehmerkreis
ist, desto intimer wird die Atmosphäre. Dann sind auch
drastische Aktionen erlaubt.
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Bianca (43, S, heterosexuell): "Auf der letzten Fete ging ziemlich
was ab. Die dauerte zwei Tage lang. Da hatten sie eine Frau
zugenäht. Das war eine Sache. Das war nicht der Geschmack
von vielen. Aber es ist komischerweise keiner weggegangen.
Geguckt hat jeder, denn es war einfach interessant (...) Andere
Paare machten was zusammen, mal kommen dritte und vierte
dazu. Aber nicht so wie beim Rudelbumsen. Es ging um SM.
Manchmal behandelten auch mehrere Frauen einen Typen, z.B.
die Hoden an die Oberschenkel oder den Schwanz an den
Bauch annähen, wenn es was hartes sein soll. Oder eben
Hoden und Penis so abbinden, dass er doppelt so gross wird.
Oder Bondage, dass sie sich absolut nicht mehr bewegen
konnten." (S. 73)
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Auch in Domina-Studios finden solche Gruppenerlebnisse statt.
Wie bei einem Theaterstück spielen die TeilnehmerInnen
bestimmte Rollen. Die Inszenierungen drehen sich um das Spiel
von Macht und Erniedrigung, von Folter und Leiden oder von
Strafe und Gehorsam. Im Mittelpunkt der Tätigkeit als Domina
steht aber die Behandlung des einzelnen Kunden, wobei häufig
eine Sklavin oder Zofe assistiert. Der Stundenansatz für eine
Behandlung liegt bei 200 und 600 Mark.
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Geschlechtsverkehr oder schon die Berührung der Domina ist
ausgeschlossen. Wenn dies der Kunde aber wünscht, kommen
nur die Sklavin oder die Zofe in Frage. Dominas sehen sich nicht
als Prostituierte. Ihr Gewerbe bildet ein besonderes
Dienstleistungsangebot, das genaue Menschenkenntnis und
gutes Einfühlungsvermögen verlangt.
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Die Medien spielen in den SM-Kulturen eine wichtige Rolle.
Beispielsweise gibt es viele Kontaktzeitschriften, in denen
Interessierte nach Beziehungen suchen oder sie anbieten:
"Wo werden Sprösslinge, Ehefrauen, Freundinnen, Freunde
noch mit dem Rohrstock erzogen? Gepflegter Pädagoge möchte
mit Rat und Tat zur Seite stehen. Erzieher, mit komplett
eingerichtetem Erziehungsraum, erteilt solventen Damen,
Herren und Paaren einfühlsame Erziehungshilfe. Wochenend-
und Langzeitbehandlung möglich." (S. 91)
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"Paar, Mitte dreissig, sie dominant, attraktiv, durchsetzungswillig,
er devot, abgerichtet, sucht Kontakt zu Kastrationswilligen,
Semikastrierten, Kastraten, Sklaven mit übermässigem
Geschlechtstrieb. Äusserste Diskretion." (S. 93)
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Ein wichtiges Mittel um das Angebot für einen speziellen Kreis
von AdressatInnen verständlich zu machen ist einerseits die
"nichtsexuelle Kontextierung des sexuell motivierten Anliegens"
(S. 91). Auf der anderen Seite wird die Bereitschaft zu einer
enthemmten Sexualität jenseits aller Tabus und Normen
signalisiert. "Wer sich aufgrund socher Anzeigen in sexuelle
Beziehungen einlässt, signalisiert damit gleichzeitig auch die
Bereitschaft zu Praktiken, die jenseits des Normalen liegen.
Insofern entsteht hier eine Gegenwelt mit konträren Normen." (S.
93)
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Auch kennen die SM-Szenen verschiedene Ästhetizismen.
Wichtig ist die Kleidung - von Leder über Latex und Seide bis
Gummi. Sogar die Mainstream-Mode erhält Impulse aus der
SM-Szene: Lackmäntel, Nietenschuhe, Halsbänder etc. Die
AutorInnen betonen auch, dass Kleidung, Schmuck und
bestimmte Körperhaltung nutzt werden. Sie dienen der
"Verfestigung der virtuellen Identitäten während des
SM-Arrangements" (S. 95). Auch der Begriff "Fetisch" spielt in der
SM-Szene eine wichtige Rolle. Fetisch meint die sexuelle
Fixierung mancher Menschen auf bestimmte Gegenstände.
Fetischmaterialien sind in der SM-Szene schwarzes Leder,
Gummi und Latex. Auch Uniformen, spezielle Arbeitskleidung,
Bart, Tätowierungen, Werkzeuge, Peitschen oder Fesseln
spielen für den fetischistischen SM eine Rolle. Fetische haben
im SM-Bereich den Charakter eines Accessoires, eines
zusätzlichen Stimulus. Der Grad der Fixiertheit auf den
Gegenstand kann allerdings unterschiedliche Ausprägungen
haben.
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Melitta (30, S, heterosexuell): "In der Phantasie hätte ich auch
nichts dagegen, wenn Blut fliessen würde. Mit Rasierklingen
habe ich es mir schon vorgestellt oder mit Nadeln. Oder so
lange schlagen, bis er blutet, das wär irgendwie noch stärker.
Also ihn mal so behandeln, dass er halb ohnmächtig wird, dass
er übersät ist mit aufgeplatzten Striemen und mit Schnitten. Dass
er eben weiss, ich spiele nicht. Das ist eine Vorstellung, die ich
oft habe, dass ich mich mal so richtig austoben könnte, dass ich
einen Orgasmus vom Sadismus bekomme." (S. 104)
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Die Phantasien drehen sich um die Spannungspole von
Submission und Dominanz, um sadistische und
masochistische Handlungen oder um die Verletzung von
Ekelgrenzen. Die normativ-moralischen Schranken der
Zivilisation werden ausser Kraft gesetzt. Die Umsetzung der
Phantasien hingegen scheitern oft an den jeweiligen physischen
und psychischen Gegebenheiten. Vieles wird in der Phantasie
als anregend empfunden, was in der Realität an deutliche
Grenzen stösst: Die Phantasie kann sich als lusthemmende
oder unangenehme Erfahrung entpuppen. "Die Wunden, die im
erotischen Traum faszinierend wirken, beginnen in der
Wirklichkeit zu eitern und hinterlassen hässliche Narben." (S.
106) Umsetzungsversuche können also nur innerhalb
bestimmter Grenzen unproblematisch sein. In ihnen ist immer
auch die Überschreitung von Beschränkungen in der Wirklichkeit
angelegt.
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Die Praktiken konstituieren den äusseren Handlungsrahmen
des SM-Szenarios. Die AutorInnen unterscheiden in verbale
Mittel, Flagellantismus, Bondage und bizzare Praktiken. Die
verbale Ausgestaltung wird "rollenspezifisch als Elemente von
Herrschaft und Unterwerfung eingesetzt. Die dominante Person
kommandiert, befiehlt, duldet keinen Widerspruch; der passive
Teil bittet und fleht" (S. 130).
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Joseph (55, M, heterosexuell): "Verbalerotik ist für mich sehr
stimulierend: Schwein; Sau; dreckiger Arschlecker; Sohn einer
pisswütigen Zuchthaushure; geiler Bock; Ficksau; Leck mir die
Fotze sauber; du impotenter Jammerlappen; jetzt wichse dich, du
Hurensohn usw. sind Ausdrücke, die in unterschiedlichen
Nuancen den Reiz einer Erziehung erhöhen können." (S. 131)
Auch das Auspeitschen und Schlagen (Erziehung) sowie
Fesselungspraktiken (Bondage) spielen beim SM-Arrangement
eine wichtige Rolle. Zudem dienen bizarre Praktiken der
gezielten Betonung bestimmter Effekte, zum Beispiel dem
Schmerz- oder Ekelerlebnis. Es werden verschiedenste
Hilfsmittel verwendet (Klistier, Nadeln, Fäkalien, Rasierklingen,
Handschellen, etc.) und Körperteile mit Ringen und Hacken
durchbohrt (Brustwarzen, Hoden, Schamlippen, etc.). Beliebt ist
auch das Beträufeln mit heissem Wachs, das Streicheln mit
Brennesseln oder das Trinken von Urin. Die Autorinnen betonen,
dass der SM ein Erlebnisfeld ist, das die Ausgestaltungsformen
relativ offen lässt. Die angewendeten Praktiken werden
individuell ausgehandelt, dementsprechend gross ist die
Variationsbreite. Eine typische SM-Praktik gibt es nicht.
Interessant ist ebenfalls, dass manche der Interviewten offenbar
nur in der beschriebenen Form intime Kontakte pflegen und aus
landläufigem Geschlechtsverkehr keine sexuelle Befriedigung
ziehen können. Ihre Orgasmusfähigkeit ist also an den
SM-Rahmen gebunden.
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Die AutorInnen machen in ihrem Schlusskapitel klar, dass der
Mensch Affekte von Angst und Aggression nie nur erleidet,
sondern immer auch herstellt. Dem Individuum wird die
Kontrolle seiner Affekte und rationales Handeln abverlangt. In
einem SM-Zirkel geht es um eine Vielzahl von Emotionen, die wir
Menschen in unserem Alltag kontrollieren müssen. Diese
Gefühlslagen werden bewusst hergestellt, geknüpft an die
Bedingung der freiwilligen Teilnahme.
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"Das generelle Verbot der privaten Gewaltanwendung wird durch
die Einwilligung des Partners, dem vereinbarten Racheverzicht
und durch die angestrebte Reversibilität der Gewaltfolgen
gleichsam ausgetrickst. Basis ist hier wie dort die Etablierung
einer Spezial-kultur zum Ausagieren der Affekte mit eigenen
Regeln, Distinktionen und Kontrollen." (S. 297)
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[1] Wetzstein, Steinmetz, Reis, Eckert u.a.: Sadomasochismus.
Szenen und Rituale. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1993.
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